Künstliche Intelligenz in der Industrie 4.0: Zwischen Hype, Hoffnung und FOMO
Veröffentlicht am 22. September 2022 in AI
Die Angst, etwas zu verpassen, hat in den vergangenen Jahren bedingt durch immer neue Techniktrends, kulturelle Veränderungen, Social Media und Co. beständig an Fahrt aufgenommen. FOMO (Fear Of Missing Out), also die Sorge, Ereignisse, Errungenschaften oder Neuigkeiten zu verpassen, die das eigene Leben verbessern könnten, findet sich dabei in unterschiedlichsten Lebensbereichen, Branchen und Bevölkerungsgruppen. Wenn wir vor zehn Jahren Anfragen zu KI-basierten Projekten erhalten haben, waren diese hauptsächlich von Hype oder FOMO getrieben. Wenn ich damals fragte, warum sich ein Unternehmen mit KI beschäftigen wollte, lautete die Antwort meistens entweder „weil mein Chef mich darum gebeten hat“, „weil wir eine Menge Daten haben“ oder „weil es ein interessantes Feld zu sein scheint“. Keiner dieser Gründe war besonders stichhaltig und rechtfertigte sicherlich nicht die hohen Investitionen, die KI-Anwendungen zu dieser Zeit erfordert hätten.
Diese Haltung ändert sich derzeit, und Hoffnung statt Hype oder FOMO wird zur treibenden Kraft. Kunden fragen nicht länger, ob wir ihnen mit KI helfen können. Sie fragen konkret, ob wir ihnen bei vorausschauender Wartung (Predictive Maintenance), Qualitätskontrolle oder Prozessoptimierung unter die Arme greifen können. Sie kommen mit einem Problem zu uns und bitten um Unterstützung für individuelle Herausforderungen. Der Einsatz von KI ist dabei nicht länger ein Motiv oder ein Ziel an sich. Stattdessen ist KI zu einem „Enabler“ geworden – eine Technologie, die Verbesserungen und Vereinfachungen ermöglicht.
Egal um welche Branche es dabei geht – Lebensmittel- oder Getränkeindustrie, Pharmazie, Elektronik oder Automobilbau: Die Stoßrichtung ist zumeist dieselbe. Unternehmen wünschen die Herstellung qualitativ hochwertiger, fehlerfreier Produkte zu geringeren Kosten, mit weniger Energieverbrauch und Arbeitsaufwand. KI kann dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Aber nicht nur die Einstellungen sondern auch die Technologien haben sich weiterentwickelt. Obwohl es das Konzept der KI bereits seit 1957 gibt, waren die ersten Anwendungen unvorstellbar teuer und langsam: Aufgrund der begrenzten Rechenleistung dauerte es einen Monat und länger, bis die Ergebnisse einer einfachen Berechnung vorlagen. Dank immenser Fortschritte in Mobiltechnologie, Speicherung und Verarbeitungsgeschwindigkeit lassen sich derartige Berechnungen heute innerhalb von Millisekunden durchführen, und die Kosten sind erheblich gesunken.
Auch wenn Tech-Giganten wie Amazon oder Google KI schon seit geraumer Zeit einsetzen, steckt künstliche Intelligenz in der Industrie oder in Produktionsstätten noch in den Kinderschuhen. Ich würde ihr Lifecycle-Stadium mit dem der Robotik vor etwa 15 Jahren vergleichen, als ein Abschluss in Mathematik vonnöten war, um einen sechsachsigen Roboter zu steuern. Die Steuerung KI-basierter Systeme braucht nach wie vor Knowhow und Expertise; Spezialisten, die genau verstehen, was sie tun. Zudem macht der Einsatz von KI bislang nur in Nischenanwendungen Sinn, bei denen sich die Kosten für den Einstieg durch den Nutzen rechtfertigen lassen.
KI für unsichtbare Herausforderungen
Ebenso wichtig ist es, sich stets vor Augen zu führen, dass KI kein Allheilmittel ist. Als Maschinenbauer, Data Scientists und Ingenieure sollten wir nicht voreilig und automatisch auf technische Lösungen zurückgreifen, obwohl die beste Lösung viel einfach und weniger anspruchsvoll sein kann. Nehmen wir zum Beispiel einen Abschnitt Förderband, der gebrochen und verbogen ist. Das ist ein technisches Problem, das sich mit einer herkömmlichen mechanischen Lösung identifizieren und beheben lässt. Es sind die weniger offensichtlichen, verborgenen und vereinzelten Probleme, die etwa zu kleinen Unterbrechungen führen, bei denen KI einen Mehrwert bieten kann.
KI-gestützte Problemlösung in der Praxis
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Kunde aus der Automobilindustrie, der Probleme mit derartigen Mikrostopps hatte, bat um unsere Unterstützung. Nach einem Datenscan führten wir einen „Sanity Check“ durch. Hierzu wurden Sonden an die Maschine angeschlossen, um Bilder der erzeugten Signale zu erstellen. So konnten wir sehen, was im Vergleich zu dem, was eigentlich hätte geschehen sollen, passierte. Anschließend entwickelten wir ein Experiment, um die Grundursachen zu ermitteln. Auf diese Weise konnten wir etwa zehn Schwierigkeiten identifizieren und beheben. Das Problem, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, betraf eine Sensorfehlfunktion: Einer der von uns überwachten Sensoren schien nicht zu funktionieren. Als wir den Kunden baten, dies zu überprüfen, stellte sich heraus, dass ein Stecker defekt war. Wir erkannten zudem einige Programmierprobleme, einschließlich eines Logikfehlers, der sich in vielen Maschinen vor Ort wiederholte und der behoben werden konnte. Alles in allem ließen sich so Zehntausende von Euro an Ausschuss einsparen und Ausfallzeiten um 50 Prozent reduzieren. Das bedeutet vier Stunden zusätzliche Produktionszeit pro Monat.
In einem anderen Anwendungsfall arbeiten wir im Moment mit einem Kunden aus der Lebensmittelindustrie an der Verbesserung von Dichtungsqualität und Siegelintegrität. Mithilfe eines KI-Ansatzes beim Versiegelungsprozess werden wir die Haltbarkeit des Produkts um mehrere Tage verlängern und fehlerhafte Versiegelungen minimieren können. So lässt sich das Risiko, dass eine komplette Produktcharge von Einzelhandelskunden zurückgewiesen wird, eindämmen.
Sammeln, analysieren und nutzen
In den meisten der bislang realisierten Projekte kam der AI Controller von Omron zum Einsatz. Er ist die weltweit erste KI-Lösung, die „at the edge“ arbeitet (die Hardware basiert auf dem Sysmac NY5 IPC und der NX7 CPU). Dieser Controller erkennt Muster basierend auf Prozessdaten, die direkt an der Produktionslinie erfasst werden. Er ist in unsere Sysmac-Produktionssteuerungsplattform integriert. So kann er direkt in der Maschine eingesetzt werden, um Effizienzverluste zu vermeiden.
Diese Beispiele und die Tatsache, dass KI in den Medien ein so heiß diskutiertes Thema ist, legt die Vermutung nahe, dass Fertigungsunternehmen mit KI mittlerweile gut vertraut sind. Das ist aber nicht der Fall. Beispiele für den KI-Einsatz in der Produktion sind selten, und die Projekte hängen stark von der Expertise des Technologieanbieters ab. In weiteren zehn Jahren wird das anders sein. Es werden Tools entwickelt, die KI viel zugänglicher und benutzerfreundlicher machen, und die es Herstellern ermöglichen, KI selbst in die Hand zu nehmen und mit ihr zu arbeiten.
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